Interview mit Dr. Petersen von der IRIS-Plattform, Uni Tübingen

1. Die IRIS-Beratungsplattform startete im Jahr 2011. Wie viele Schwangere haben das Angebot bisher genutzt?

Die Version 1 der „Individualisierten, risikoadaptierten internetgestützten Interventionen zur Verringerung des Alkohol- und Tabakkonsums bei Schwangeren“ IRIS wurde am 10. Mai 2013 erstmals online gestellt. Leider kennen wir die Gesamtzahl der Nutzerinnen seit 2013 nicht, da sie bislang nicht systematisch erfasst wurde. Unsere Analysen aus dem Jahr 2018 zeigen, dass die tägliche Besucherzahl der IRIS-Website ganz erheblich schwanken kann – von unter zehn Personen bis zu 130 an einem Tag.

Zurzeit planen wir für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums eine grundlegend optimierte IRIS-Version.

2. Ist nach Ihrer Kenntnis auch ein wichtiger Erfolgsfaktor, ob der Partner oder die Partnerin den Alkohol- und Tabakverzicht unterstützt oder sogar selbst verzichtet?

Unterstützung zur Abstinenz allein reicht nicht. Studien zeigen, dass Männer durchaus häufig von ihren schwangeren Partnerinnen Abstinenz erwarten. Nur zu erwarten und von der Partnerin zu fordern ist viel zu wenig. Während der Schwangerschaft können sie durch ihr Verhalten den Schwangeren sehr bedeutsam bei ihrer Abstinenz helfen. Umgekehrt heißt das aber auch: Sie können es ihren Partnerinnen durch eigenen Alkoholkonsum und/oder Rauchen auch bedeutsam schwerer machen! Und wenn der zukünftige Kindsvater selbst raucht und trinkt – warum sollten dann Verwandte und Bekannte im Haus der Schwangeren Abstinenz halten? Idealerweise sollte jede und jeder, die oder der die Schwangere gern hat, zumindest in ihrer Gegenwart keinen Alkohol konsumieren und schon gar nicht rauchen. Und möglichst sollten nicht alle gleichzeitig draußen auf dem Balkon rauchen und die Schwangere bleibt allein drinnen zurück…

3. Babys von Alkoholikerinnen sind sicher besonders von FASD bedroht. Inwieweit ist aber bei den Teilnehmerinnen Ihres Programms die Kenntnis verbreitet, dass schon eine kleine Menge Alkohol großen Schaden anrichten kann?

Wir arbeiten gerade daran, dass der Informationsbereich von IRIS nicht mehr nur von registrierten Nutzerinnen eingesehen werden kann. Wer dann diese sich auf dem aktuellen Forschungsstand befindlichen Informationen zur Kenntnis nimmt, wird sicherlich auch kleine Mengen Alkohol in der Schwangerschaft nicht mehr unterschätzen und bagatellisieren können.

4. Es gibt Gegenden in Deutschland, z. B. Weinanbaugebiete, wo der Wein zum Essen schon seit Jahrhunderten ganz selbstverständlich gelebte Alltagskultur ist. Steigt dort nach Ihrer Kenntnis das Bewusstsein dafür, dass man in der Schwangerschaft dennoch gänzlich auf Alkohol verzichten sollte?

Das Problem, das unsere Gesellschaft mit dem allgegenwärtigen Alkohol hat, ist nicht nur auf Weinanbaugebiete begrenzt: Wein zum Essen, Bierchen nach der Arbeit, zum Feiern, zum Trösten, zum Entspannen…. Ich habe aber den Eindruck, dass sich der Verzicht auf Alkohol als Gebot während der Schwangerschaft mehr und mehr verbreitet. Gynäkologinnen und Gynäkologen, Hebammen und Schwangerschaftsberatungsstellen tun ihr Bestes. Richtig wissenschaftlich belegen kann ich das allerdings nicht. Ist vielleicht auch nur Optimismus.

5. Welche Tipps können Sie Schwangeren geben, die den Alkohol- und Tabakverzicht auf eigene Faust schaffen wollen?

IRIS (www.iris-plattform.de)! IRIS ist fast wie auf eigene Faust. IRIS ist effektiver als „ohne Hilfe“ und hat dabei keine Nachteile gegenüber „ohne Hilfe“. Ich würde allen Schwangeren mit Alkohol- und/oder Tabakkonsum raten, sich jede Hilfe zu holen, die ihnen irgendwie nützlich erscheint.

6. Wenn man im eigenen Umfeld auf Schwangere trifft, die rauchen oder Alkohol trinken: Kann man das ansprechen und welche Art der Ansprache sollte man wählen?

Schwangere auf ihren Alkohol- oder Tabakkonsum anzusprechen, kann ausgesprochen leicht distanzlos und unhöflich wirken. Es kann als Besserwisserei, Rechthaberei und Schikane von Schwächeren wahrgenommen werden. Darum machen das viele Menschen nonverbal: Sie starren die Schwangere grimmig aus der Distanz an. Missbilligendes Ansprechen des Fehlverhaltens aber auch die nonverbale Variante sind auf jeden Fall für die Schwangere nicht hilfreich. Niemand kann ernsthaft damit rechnen, dass die Schwangere zum ersten Mal von der Schädlichkeit des Alkohol- und Tabakkonsums für ihr Baby hört und dann dankbar den Tipp sofort umsetzt. In der Regel weiß, wer offensichtlich schwanger in der Anwesenheit anderer raucht oder etwas Alkoholisches konsumiert, dass das auf viele andere Frauen (und Männer) höchst provozierend wirkt. Die Thematisierung endet meistens in einem wenig konstruktivem Streit.

Man könnte vielleicht auf eine Gelegenheit im Gespräch warten zu sagen: „Übrigens, für den Fall, dass Sie Schwierigkeiten mit der Regulierung des Alkohol- und/oder Tabakkonsums haben: Haben Sie schon mal von dem IRIS-Programm (www.iris-plattform.de) gehört? Ist anonym und kostenlos…“